Podiumsdiskussion „Zwischen Fronten“: Warum Frieden mehr Mut braucht als Aufrüstung

Am Mittwochabend war ich zu Gast im Europa-Haus Leipzig – eingeladen zu einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Das Imperium schlägt zurück? Russlands Großmachtansprüche und mitteleuropäische Bedrohungswahrnehmungen“. Die Veranstaltung war Teil der Reihe „Zwischen Fronten – Europas Rolle in der neuen Welt(un)ordnung“, organisiert von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit dem Europa-Haus Leipzig und dem European Council on Foreign Relations (ECFR). Gemeinsam mit Justyna Gotkowska (Zentrum für Oststudien Warschau), Dr. Margarete Klein (Stiftung Wissenschaft und Politik) und Generalleutnant a.D. Heinrich Brauß (ehem. NATO) diskutierte ich über Russlands geopolitische Rolle und die sicherheitspolitischen Herausforderungen für Europa. Moderiert wurde die Veranstaltung von Rafael Loss vom ECFR.

Die Atmosphäre war sachlich, das Podium hochkarätig besetzt – aber inhaltlich klar auf Eskalation und Abschreckung fokussiert. Ich war der einzige Teilnehmer, der eine friedenspolitische Perspektive eingebracht hat. Und ich war der Einzige, der kritisch hinterfragte, ob Europa wirklich alles dafür tut, den Krieg in der Ukraine zu beenden – oder ob wir nicht längst in einer Dynamik gefangen sind, die am Frieden gar kein echtes Interesse mehr hat.

Gleich zu Beginn habe ich betont, wie bezeichnend ich es finde, dass bei einer Diskussion über Russland kein einziger Vertreter der russischen Seite eingeladen war – kein Diplomat, kein Wissenschaftler, nicht einmal ein Journalist. Wie soll Dialog gelingen, wenn eine Seite gar nicht erst zu Wort kommt?

Inhaltlich habe ich mehrere Punkte deutlich gemacht:

  • Russlands Sicherheitsinteressen dürfen in Verhandlungen nicht ignoriert werden – eine Friedenslösung muss auch deren Einbindung berücksichtigen. Die Ukraine war in den letzten Jahren zunehmend Schauplatz geopolitischer Konflikte, bei denen sowohl westliche NATO-Interessen als auch russische Ablehnungen aufeinanderprallten – genau darin liegt eine zentrale Ursache der Eskalation.
  • Bereits 2022 gab es Verhandlungsansätze, etwa im Frühjahr, als eine Einigung greifbar schien. Doch der damalige britische Premier Boris Johnson riet der Ukraine offenbar ab – mit der Hoffnung, auf dem Schlachtfeld mehr erreichen zu können. Das war ein schwerer Fehler. Seither erleben wir eine militärische Eskalation ohne Exit-Strategie.
  • Die gegenwärtige Aufrüstung dient nicht dem Frieden, sondern stabilisiert eine gefährliche Eskalationsspirale. Und sie lenkt davon ab, dass in vielen Ländern – auch bei uns – gesellschaftlicher Zusammenhalt, wirtschaftliche Stabilität und soziale Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben.
  • Eine Rückkehr zu Dialogformaten ist überfällig. Vermittler wie Brasilien, China oder auch arabische Staaten könnten eine Rolle spielen – aber nur, wenn wir uns aufrichtig darum bemühen, eine Lösung zu finden, die nicht auf Demütigung, sondern auf Interessenausgleich basiert.
  • Hat der Westen überhaupt ein Interesse an einem Ende des Kriegs? Die gegenwärtige Aufrüstung dient nicht nur militärischer Stärke, sondern wirkt auch als Konjunkturprogramm, das in einer Rezession, die auch durch die Sanktionen gegen Russland verursacht wurde, wirtschaftliche Interessen bedient und Vermögen von unten nach oben umverteilt.

Die übrigen Podiumsteilnehmer sahen das – erwartbar – anders. General Brauß sprach mehrfach von einem „brutalen Vernichtungskrieg“ und forderte massive militärische Aufrüstung, inklusive Wehrpflicht. Justyna Gotkowska argumentierte aus der Perspektive eines Landes, das sich akut bedroht fühlt – eine Sorge, die ich ernst nehme, aber nicht teile. Ich sehe nicht, dass Russland in absehbarer Zeit einen NATO-Staat angreifen will oder kann. Wer dennoch davon ausgeht, betreibt Politik auf Basis spekulativer Bedrohungsszenarien.

Für mich steht fest: Europa braucht einen neuen sicherheitspolitischen Realismus. Wir müssen aufhören, den Frieden der Zukunft mit den Rezepten des Kalten Krieges verhindern zu wollen. Stattdessen braucht es Mut zur Deeskalation, klare Worte für beide Seiten – und eine ehrliche Bestandsaufnahme: Wo stehen wir eigentlich wirklich? Und wollen wir überhaupt Frieden – oder nur unsere Positionen durchsetzen?

Ich danke den Veranstaltern für die Einladung und die faire Moderation. Auch wenn ich mit meiner Perspektive in der Minderheit war – der Austausch war wichtig. Denn wer ernsthaft über Frieden sprechen will, darf nicht nur mit Gleichgesinnten reden.

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