Lesetipps der Woche (KW 24)

In dieser Rubrik erscheinen wöchentlich ausgewählte Artikel aus unabhängigen, meinungsstarken Medien – zusammengestellt von meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter. Als Abgeordneter bleibt im politischen Alltag oft zu wenig Zeit, um sich selbst täglich durch die Vielzahl an relevanten Beiträgen zu arbeiten. Deshalb erhalte ich regelmäßig ein fundiertes Pressebriefing, aus dem hier einige besonders lesenswerte Texte hervorgehoben werden.
Die Auswahl setzt Impulse, regt zum Nachdenken an und eröffnet Perspektiven jenseits des etablierten Meinungskanons – zu Themen, die auch meine Arbeit im Landtag prägen: Frieden, Europa und die gesellschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland.


Hinweis: Die hier empfohlenen Beiträge spiegeln nicht in jedem Fall die Positionen von Nico Rudolph oder seinem Team wider. Sie wurden aufgrund ihrer inhaltlichen Relevanz und Impulsstärke ausgewählt.


German Foreign Policy: „Piraterie in der Ostsee (II)“

Zusammenfassung

Der Artikel analysiert das völkerrechtlich fragwürdige Vorgehen von NATO-Ostseeanrainern, darunter Deutschland, gegen russische Öltanker der sogenannten „Schattenflotte“. Seit einem NATO-Treffen im Januar wird versucht, Tanker aus russischen Häfen unter Umweltschutzvorwänden festzusetzen – teils in internationalen Gewässern, wo keine Eingriffsrechte bestehen. Exemplarisch ist der Fall des Tankers Eventin, der von Deutschland beschlagnahmt wurde. Experten bezeichnen dies als Eskalation und als Verstoß gegen das UN-Seerechtsübereinkommen. Russland reagiert zunehmend offensiv – u.a. mit der Festsetzung westlicher Schiffe und dem Einsatz von Kampfjets – was die Lage in der Ostsee weiter zuspitzt.

Einordnung

Ein brisanter Beitrag zur Frage, wie weit NATO-Staaten bereit sind, völkerrechtliche Normen zugunsten geopolitischer Interessen zu dehnen. Der Text verdeutlicht, wie das Recht zunehmend zur Waffe wird – und wie gefährlich diese Strategie ist, wenn andere Staaten das Prinzip übernehmen. Wer selektiv Rechtsgrundsätze auslegt, öffnet die Tür für globale Rückwirkungen. Der Artikel dokumentiert eine schleichende Erosion des Seerechts – und warnt vor einer sicherheitspolitischen Eskalation mit unabsehbaren Folgen.


Overton: „Wir sind grundsätzlich dagegen, Brücken zu verbrennen“
Roberto De Lapuente und Valeri Schiller im Interview mit Sergei Netschajew

Zusammenfassung

Im Interview mit Overton äußert sich Sergei Netschajew, russischer Botschafter in Berlin, zum Zustand der deutsch-russischen Beziehungen. Er beklagt das Fehlen eines politischen Dialogs, betont aber Russlands Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Netschajew warnt vor westlicher Aufrüstung, kritisiert die Einseitigkeit westlicher Narrative und verteidigt Russlands sicherheitspolitische Perspektiven. Mit Blick auf die Ukraine plädiert er für Verhandlungen, verweist auf verpasste Chancen und spricht von andauernder Diskriminierung russischsprachiger Bevölkerungsteile. Er betont, Russland sei nicht an einer Eskalation interessiert und sehe kulturelle wie wirtschaftliche Kontakte weiterhin als möglich und wichtig an.

Einordnung

Das Interview eröffnet seltene Einblicke in die russische diplomatische Perspektive – nüchtern, strategisch und mit klarem Interesse an langfristiger Stabilisierung. Netschajews Aussagen spiegeln bekannte Narrative wider, enthalten aber auch Signale der Dialogbereitschaft. Besonders aufschlussreich ist seine Kritik an der deutschen Erinnerungspolitik und der westlichen Sanktionspraxis. Wer geopolitische Eskalationsdynamiken verstehen will, sollte auch diese Stimmen hören – nicht, um sie zu übernehmen, sondern um eigene Positionen differenzierter zu reflektieren.


El Comun: „Die Kriegsgefahr nimmt täglich zu“
von Sevim Dağdelen

Zusammenfassung

Im Interview mit der spanischen Zeitung El Comun warnt Sevim Dağdelen eindringlich vor der zunehmenden Kriegsgefahr in Europa. Sie sieht die westliche Politik im Bann einer aggressiven Kriegspropaganda, die kritische Stimmen systematisch ausgrenzt. Die NATO verfolge imperialistische Interessen, torpediere Friedensverhandlungen – etwa 2022 in Istanbul – und unterstütze gefährliche Eskalationen wie die Angriffe auf Russlands Atomstreitkräfte. Die europäische Linke habe sich vielfach entkernt und ihre friedenspolitischen Grundsätze aufgegeben. Das BSW hingegen wolle an diesen Prinzipien festhalten. Dağdelen kritisiert die Doppelmoral westlicher Regierungen, benennt die sozialen Folgen der Aufrüstung für die arbeitende Bevölkerung und fordert eine neue Souveränitätsbewegung von unten.

Einordnung

Ein Interview mit klarer Kante – und einer Friedenshaltung, die sich gegen den Strom stellt. Dağdelen analysiert nicht nur die strategischen Fehlentwicklungen der NATO, sondern auch die innere Erosion linker Politik in Europa. Sie zeigt auf, wie außenpolitische Eskalation mit sozialer Ungleichheit verflochten ist und fordert eine konsequente Friedenspolitik jenseits ideologischer Scheuklappen. Ihre Perspektive zeigt, wie nötig eine Antikriegsbewegung mit Rückgrat und gesellschaftlicher Verankerung geworden ist.


NachDenkSeiten: „Die Moralelite“
Marcus Klöckner im Interview mit Hans-Dieter Rieveler

Zusammenfassung

Im Interview analysiert der Soziologe Hans-Dieter Rieveler die Selbstinszenierung des „linksliberalen“ Milieus als moralische Elite. Diese zeichne sich nicht durch sachbezogene Argumentation aus, sondern durch Moralisierung, Sprachregelungen und Deutungshoheit. Rieveler kritisiert eine identitätspolitisch geprägte Debattenkultur, die reale soziale Probleme überdeckt und zur gesellschaftlichen Spaltung beiträgt. Medien, Politik und Kulturakteure würden oft im Namen einer progressiven Haltung reale Missstände verharmlosen oder tabuisieren – insbesondere in der Migrations- und Bildungspolitik. Identitätspolitik erscheine so als Ersatz für klassischen Klassenkampf, ohne tatsächliche Umverteilung oder soziale Gerechtigkeit zu bewirken.

Einordnung

Ein Interview mit Tiefgang, das den Finger in eine offene Wunde des politischen Diskurses legt: die moralische Selbstüberhöhung bestimmter Milieus, die Kritik als „rechts“ diffamieren. Rieveler stellt die Frage, ob es der heutigen Linken wirklich noch um soziale Gerechtigkeit geht – oder eher um symbolische Identitätsmarker. Ein Beitrag, der die Debatte über Meinungsfreiheit, Cancel Culture und Klassenblindheit auf eine neue, soziologisch fundierte Ebene hebt.


Infosperber: „Friede in der Ukraine gibt es nur ohne Nato und US-Raketen“
von Urs P. Gasche

Zusammenfassung

Im Zentrum steht ein Interview mit dem US-Politikwissenschaftler John Mearsheimer, der die Verantwortung für den Ukraine-Krieg maßgeblich beim Westen sieht. Mearsheimer argumentiert, dass die NATO-Osterweiterung und insbesondere die Integration der Ukraine in westliche Militärstrukturen Russland zur Invasion provoziert hätten. Ein Frieden sei nur möglich, wenn die Ukraine neutral werde, auf NATO-Beitritt verzichte und russische Gebietsgewinne anerkenne. Der Artikel dokumentiert außerdem die kritischen Reaktionen auf das Interview – insbesondere von Ex-Diplomaten – und kontert diese mit einer ausführlichen Replik: Die NATO sei aus russischer Sicht sehr wohl ein bedrohliches Instrument geopolitischer Machtausdehnung. Der Text schließt mit einem klaren Hinweis auf den Bruch des Völkerrechts durch Russland, betont aber zugleich, dass das Verhalten der NATO zur Eskalation beigetragen habe.

Einordnung

Ein analytisch ausgewogener Artikel, der Mearsheimers Thesen nicht affirmativ übernimmt, sondern kritisch kontextualisiert. Gasche gelingt es, die sicherheitspolitische Logik Moskaus zu rekonstruieren, ohne den völkerrechtswidrigen Angriff zu relativieren. Die Stärke liegt im Kontrast zwischen westlichem Bedrohungsempfinden und russischer Sicherheitsdoktrin – eine Perspektive, die in der deutschen Presselandschaft selten in dieser analytischen Tiefe geboten wird.


NachDenkSeiten: „Wahlrecht absurd: Der Umgang mit dem BSW bleibt demokratiefeindlich und unfair“
von Tobias Riegel

Zusammenfassung

Der Artikel kritisiert den aktuellen Umgang mit den Wahlprüfungsanträgen des BSW als zutiefst undemokratisch. Trotz starker Indizien für Unregelmäßigkeiten bei der Bundestagswahl 2025 wurde die Klage des BSW vom Bundesverfassungsgericht aus formalen Gründen abgewiesen. Besonders problematisch sei laut Autor Tobias Riegel die Möglichkeit, dass konkurrierende Parteien durch Verfahrensverschleppung eine ernsthafte Prüfung verhindern könnten. Die rechtliche Unterscheidung zwischen Ausschuss für Wahlprüfung und Wahlprüfungsausschuss sowie das Fehlen von Fristen zur Bearbeitung der Einsprüche werden als absurde und missbrauchsanfällige Lücke im deutschen Wahlrecht kritisiert.

Einordnung

Ein pointierter Kommentar, der den Eindruck politischer Willkür bei der Wahlprüfung in Deutschland thematisiert. Riegel legt den Fokus auf strukturelle Defizite im Wahlprüfungsverfahren, die durch institutionelle Trägheit und parteipolitische Interessen noch verschärft würden. Der Text greift berechtigte demokratische Bedenken auf, argumentiert aber aus klarer parteipolitischer Solidarität mit dem BSW – was die emotionale Zuspitzung erklärt. Die Kritik an der fehlenden Reaktionspflicht des Bundestags ist inhaltlich nachvollziehbar und dürfte über Parteigrenzen hinweg auf Interesse stoßen.


Globalbridge: „Sind wir unfähig zum Frieden?“ – oder: Die fatale Aktualität eines 45 Jahre alten Essays von Horst-Eberhard Richter

Zusammenfassung

Globalbridge veröffentlicht zentrale Auszüge aus einem Essay des Psychoanalytikers Horst-Eberhard Richter von 1980, der angesichts der aktuellen Kriegsgefahr erneut erschreckend aktuell wirkt. Richter analysiert die Sprachlosigkeit der Bevölkerung angesichts nuklearer Bedrohung, kritisiert den Selbstbetrug durch systemtreue Propaganda und warnt vor einem gefährlichen Verschiebungsmechanismus gesellschaftlicher Ängste. Die zunehmende Aufrüstung hält er für eine trügerische Friedenssicherung, die letztlich nur die Eskalation verstärke. Der Text plädiert für eine alternative Politik des Dialogs, der Entfeindung und der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung gegen die Logik atomarer Konfrontation.

Einordnung

Ein bewegendes Zeitdokument, das durch die Brille von 1980 zentrale Mechanismen heutiger Kriegsrhetorik entlarvt. Richters Analyse bietet einen psychopolitischen Schlüssel zum Verständnis kollektiver Verdrängung, Moralisierung und militärischer Eskalation – und wirkt in der gegenwärtigen Debatte wie ein Weckruf aus der Vergangenheit. Wer heute über Friedenspolitik redet, sollte Richter lesen – nicht als nostalgische Erinnerung, sondern als aktuelle Handlungsanleitung.


NachDenkSeiten: „Endlich: Prominente SPD-Politiker fordern eine andere Russland-Politik“
von Tobias Riegel

Zusammenfassung

In einem Manifest mit dem Titel „Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung“ fordern zahlreiche prominente SPD-Politiker eine außenpolitische Kehrtwende ihrer Partei. Sie sprechen sich gegen die Militarisierungspolitik der Bundesregierung, für Gespräche mit Russland, gegen neue US-Mittelstreckenraketen und gegen das NATO-Ziel von 3,5 oder gar 5 Prozent BIP für Verteidigung aus. Zu den Unterzeichnern gehören u.a. Rolf Mützenich, Ralf Stegner und Hans Eichel. Das Papier wendet sich gegen „militärische Alarmrhetorik“ und befürwortet eine Rückkehr zu Entspannung und Diplomatie. Der Artikel wertet das Manifest als späte, aber bedeutsame Rückbesinnung auf sozialdemokratische Friedenspolitik.

Einordnung

Ein deutliches Signal aus den Reihen der SPD, das dem Parteikurs der letzten Jahre widerspricht – und zeigt, dass friedenspolitische Positionen in der Partei noch existieren. Das Manifest dürfte sowohl beim SPD-Parteitag als auch im Vorfeld des NATO-Gipfels kontroverse Diskussionen auslösen – allerdings ist zu erwarten, dass es dabei auf erheblichen Widerstand aus Medien und Regierungskreisen stößt. Der Artikel ordnet den Schritt als notwendig und überfällig ein – gerade angesichts des wachsenden Eskalationsdrucks im Vorfeld des NATO-Gipfels und der weitgehend gleichförmigen Rhetorik im Parteienspektrum.

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