In dieser Rubrik erscheinen wöchentlich ausgewählte Artikel aus unabhängigen, meinungsstarken Medien – zusammengestellt von meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter. Als Abgeordneter bleibt im politischen Alltag oft zu wenig Zeit, um sich selbst täglich durch die Vielzahl an relevanten Beiträgen zu arbeiten. Deshalb erhalte ich regelmäßig ein fundiertes Pressebriefing, aus dem hier einige besonders lesenswerte Texte hervorgehoben werden.
Die Auswahl setzt Impulse, regt zum Nachdenken an und eröffnet Perspektiven jenseits des etablierten Meinungskanons – zu Themen, die auch meine Arbeit im Landtag prägen: Frieden, Europa und die gesellschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland.
Hinweis: Die hier empfohlenen Beiträge spiegeln nicht in jedem Fall die Positionen von Nico Rudolph oder seinem Team wider. Sie wurden aufgrund ihrer inhaltlichen Relevanz und Impulsstärke ausgewählt.
Jacobin: »Multipolarität? Vielleicht irgendwann in der Zukunft«
Interview mit Vijay Prashad
Zusammenfassung
Im Interview mit David Goeßmann analysiert der Historiker Vijay Prashad die anhaltende Dominanz der USA trotz globaler Machtverschiebungen. Zwar steigt China wirtschaftlich auf und BRICS+ gewinnt geopolitisches Gewicht, doch militärisch und medial bleibt der Westen tonangebend. Prashad kritisiert die NATO scharf als destruktivste Organisation der Nachkriegszeit und beschreibt den israelischen Angriff auf den Iran sowie den Gaza-Krieg als völkerrechtswidrig und von westlicher Doppelmoral begleitet. Multipolarität sei bisher mehr Hoffnung als Realität – insbesondere im Globalen Süden dominiere weiter der westlich gesteuerte IWF, während Alternativen wie die BRICS-Entwicklungsbank noch schwach sind. Hoffnung sieht Prashad in organisierten Basisbewegungen und punktuellen linken Erfolgen – strukturelle Veränderungen seien aber noch weit entfernt.
Einordnung
Prashads Analyse liefert einen schonungslosen Blick auf die fortdauernde globale Hegemonie des Westens – nicht ideologisch, sondern machtpolitisch. Besonders seine NATO-Kritik rüttelt auf: Sie stellt gängige Narrative über Sicherheit und Demokratie infrage und fordert eine ehrliche Bilanz westlicher Interventionen. Wer über eine neue Weltordnung spricht, muss diese Realitäten zur Kenntnis nehmen – nicht, um sie zu beschönigen, sondern um echte Alternativen zu entwickeln. Das Interview ist ein eindrucksvolles Plädoyer für kritische Außenpolitik und globale Gerechtigkeit – jenseits von Schönwetterrhetorik und geopolitischer Doppelmoral.
NachDenkSeiten: „Pressefreiheit in Gefahr: EU-Sanktionen gegen deutsche Journalisten schaffen beunruhigenden Präzedenzfall“
von Éva Péli
Zusammenfassung
Erstmals hat die EU im Rahmen ihres 17. Sanktionspakets Sanktionen gegen deutsche Journalisten wie Alina Lipp, Thomas Röper und Hüseyin Doğru verhängt. Die Vorwürfe: „systematische Fehlinformation“ und „destabilisierende Aktivitäten“. Die Maßnahmen – von Kontensperrungen über Einreiseverbote bis zur „Sippenhaftung“ – erfolgen ohne Gerichtsverfahren und gelten als beispielloser Eingriff in die Pressefreiheit. Bei einer Podiumsdiskussion in Berlin äußerten sich Vertreter alternativer Medien alarmiert: Der Fall Doğru, dessen Konten auch die Krankenversicherung seiner hochschwangeren Frau betrafen, illustriert den repressiven Charakter der Sanktionen. Die Veranstaltung warnte vor einer neuen Qualität staatlicher Repression, flankiert von digitalen Kontrollinstrumenten wie dem Digital Services Act, öffentlich geförderten Faktencheckern und der Kooperation zwischen EU und Tech-Konzernen. Auch die Ausweisung russischer Journalisten in Deutschland wurde thematisiert. Die frühere EU-Abgeordnete Clare Daly warnte im EU-Parlament: „This is how free speech dies.“
Einordnung
Der Artikel dokumentiert nicht nur eine besorgniserregende Entwicklung in der europäischen Rechtspraxis, sondern entlarvt ein Machtinstrument, das jenseits rechtsstaatlicher Verfahren kritische Stimmen ausschaltet. Der Fall Doğru steht sinnbildlich für eine Strategie gezielter Einschüchterung – mit dem Ziel, missliebige Perspektiven zu delegitimieren und auszuschalten. Wer über Demokratie, Meinungsfreiheit und europäische Werte spricht, kommt an dieser Entwicklung nicht vorbei. Der Bericht ist ein Weckruf an Journalisten, Juristen und Parlamentarier: Die Verteidigung der Pressefreiheit beginnt nicht erst dann, wenn sie gänzlich verloren ist.
Manova: „Nach dem Krieg ist vor dem Krieg“
von Hermann Ploppa
Zusammenfassung
Der Artikel analysiert den Zwölftagekrieg zwischen Israel, den USA und dem Iran als Ausdruck einer entgrenzten Kriegspolitik, bei der militärische Gewalt zunehmend der Erprobung und Vermarktung von Rüstungsgütern dient. Autor Hermann Ploppa kritisiert das Vorgehen Israels und der USA als völkerrechtswidrig und sieht in der Schockstrategie des Kriegsbeginns – inklusive Täuschung und gezielter Tötung iranischer Unterhändler – ein Kriegsverbrechen. Der Iran reagierte mit klug gestaffelten Gegenangriffen und entlarvte Schwächen im israelischen Abwehrsystem. Der Beitrag verweist auf die geopolitischen und militärischen Rollen der USA, Chinas, Aserbaidschans und der IAEA und zeichnet ein Bild wachsender Instabilität. Die Schlussfolgerung: Sollte der Iran sich in Zukunft nuklear bewaffnen, trüge der Westen eine Mitschuld – als Konsequenz eines rücksichtslosen Machtstrebens und gebrochener Versprechen.
Einordnung
Ploppas Analyse entlarvt den Krieg als kalkuliertes Spektakel mit Markttestfunktion für Mordtechnologie – und als moralisches Desaster für den Westen. Wer Sicherheit predigt und Recht beansprucht, darf nicht selbst Recht brechen und Vertrauen zerstören. Der Text zwingt zur unbequemen Frage: Dient westliche Militärpolitik noch der Verteidigung – oder längst der Gewaltoptimierung im Dienste geopolitischer Märkte?
Multipolar: „Staatsrechtler: Deutschland beteiligt sich an ‚Völkerrechts-Nihilismus‘“
Interview mit Norman Paech
Zusammenfassung
Der Staatsrechtler Norman Paech kritisiert die deutsche Außenpolitik unter Friedrich Merz als gefährlich rechtsstaatswidrig. Im Interview äußert er scharfe Kritik an der Unterstützung Israels trotz Völkermordvorwürfen, den Angriffen Israels und der USA auf Iran sowie den deutschen Waffenlieferungen. Die USA würden sich längst nicht mehr an das Völkerrecht gebunden fühlen – und Deutschland übernehme diesen Kurs. Besonders problematisch sei die pauschale Berufung auf ein Selbstverteidigungsrecht, obwohl keine unmittelbare Bedrohung bestehe. Auch im Gazakrieg sieht Paech klare Indizien für einen Völkermord – nicht wegen der Angriffsstärke allein, sondern aufgrund expliziter Absichtserklärungen führender israelischer Politiker. Internationale Kritik werde durch westliches Wegsehen entwertet, während das Völkerrecht zunehmend als Machtinstrument degradiert werde.
Einordnung
Dieses Interview ist ein juristischer Weckruf: Wenn selbst die Bundesregierung beginnt, das Völkerrecht selektiv auszulegen, verliert es seinen universellen Anspruch. Paechs Diagnose einer „Herrschaft des Militärs über das Recht“ benennt ein zentrales Problem westlicher Außenpolitik. Wer Gewalt legitimiert, ohne das Recht zu achten, untergräbt die eigene Glaubwürdigkeit – und öffnet autoritären Praktiken die Tür.
Globalbridge: „Welche Rolle spielen Atomwaffen in den heutigen internationalen Beziehungen?“
von Dmitri Trenin
Zusammenfassung
Der russische Politikwissenschaftler Dmitri Trenin analysiert die Rolle von Atomwaffen in einer multipolaren Weltordnung, in der indirekte und direkte Konflikte zwischen Atommächten zunehmen. Er verweist auf den schwindenden Abschreckungseffekt klassischer nuklearer Bedrohungsszenarien und diagnostiziert eine Rückkehr zu gewaltsamer Machtpolitik, bei der die Schwelle zur Eskalation kontinuierlich sinkt. Konflikte wie in der Ukraine, Südasien oder im Nahen Osten zeigen laut Trenin, dass strategische Stabilität nicht mehr durch gegenseitige Rücksichtnahme, sondern durch zunehmende Risikobereitschaft geprägt ist. Besonders kritisch bewertet er die Einmischung westlicher Staaten in Konflikte an den Rändern atomarer Einflusszonen sowie die Erosion des Nichtverbreitungsregimes. Als Reaktion darauf konstatiert Trenin eine verstärkte nukleare Aktivierung Russlands und warnt vor der langfristigen Destabilisierung durch den Verfall bestehender Abschreckungsmechanismen.
Einordnung
Trenins Analyse bietet einen strategisch motivierten Einblick in die veränderte Sicherheitsarchitektur einer Welt, in der das Gleichgewicht zwischen nuklearer Drohung und politischer Zurückhaltung ins Wanken gerät. Der Text deutet an, wie sich geopolitische Machtverschiebungen auf die nukleare Rüstung und politische Risikokalkulation auswirken. Für die politische Auseinandersetzung wirft dies grundlegende Fragen auf: Wo verläuft die Grenze zwischen Abschreckung und Eskalation? Wie robust sind internationale Institutionen angesichts nationaler Sicherheitsdoktrinen? Und welche sicherheitspolitischen Schlussfolgerungen ziehen Staaten, die sich nicht mehr auf westliche Schutzversprechen verlassen wollen?
NachDenkSeiten: „Internationale Verträge gegen Atomwaffen und ihre Wirkkraft“
von Alexander Neu
Zusammenfassung
Alexander Neu analysiert die Rolle und Wirksamkeit internationaler Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge – insbesondere NPT und AVV – im Lichte des jüngsten Angriffs von USA und Israel auf iranische Atomanlagen. Der Beitrag hinterfragt doppelte Standards westlicher Staaten im Umgang mit Vertragsbrüchen und unterstreicht die wachsende Erosion völkerrechtlicher Normen. Neu zeigt auf, dass die Atommächte – insbesondere die USA – ihren vertraglichen Abrüstungsverpflichtungen nicht nachkommen, während Nicht-Atomwaffenstaaten wie der Iran an ihren Rechten und Pflichten gemessen werden. Auch die nukleare Teilhabe Deutschlands wird als problematisch dargestellt, da sie das Verfügungsverbot des NPT unterlaufe. Israel hingegen entziehe sich jeglicher Kontrolle, da es weder dem NPT noch dem AVV angehöre. Neu sieht in diesem Ungleichgewicht ein strukturelles Legitimationsproblem des internationalen Rüstungsregimes.
Einordnung
Der Beitrag liefert eine detaillierte und kontrastierende Auseinandersetzung mit der realpolitischen Wirkungskraft internationaler Abrüstungsabkommen. Besonders relevant ist die Analyse dort, wo sie das Spannungsverhältnis zwischen völkerrechtlicher Gleichheit und geopolitischer Machtpraxis offenlegt. Für die sicherheitspolitische Debatte ergeben sich daraus weiterführende Fragen: Wie lassen sich universelle Normen gegen asymmetrische Durchsetzungsmacht behaupten? Welche Implikationen ergeben sich für Deutschlands Rolle im Rahmen der nuklearen Teilhabe? Und wie glaubwürdig sind westliche Positionen zur Nichtverbreitungspolitik angesichts offensichtlicher Vertragsverletzungen?