In dieser Rubrik erscheinen wöchentlich ausgewählte Artikel aus unabhängigen, meinungsstarken Medien – zusammengestellt von meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter. Als Abgeordneter bleibt im politischen Alltag oft zu wenig Zeit, um sich selbst täglich durch die Vielzahl an relevanten Beiträgen zu arbeiten. Deshalb erhalte ich regelmäßig ein fundiertes Pressebriefing, aus dem hier einige besonders lesenswerte Texte hervorgehoben werden.
Die Auswahl setzt Impulse, regt zum Nachdenken an und eröffnet Perspektiven jenseits des etablierten Meinungskanons – zu Themen, die auch meine Arbeit im Landtag prägen: Frieden, Europa und die gesellschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland.
Hinweis: Die hier empfohlenen Beiträge spiegeln nicht in jedem Fall die Positionen von Nico Rudolph oder seinem Team wider. Sie wurden aufgrund ihrer inhaltlichen Relevanz und Impulsstärke ausgewählt.
NachDenkSeiten: „Die USA und die Zusicherungen von 1990, die NATO nicht nach Osten zu erweitern“
Zusammenfassung
Der Artikel dokumentiert anhand von Reden, Protokollen und offiziellen Stellungnahmen, dass es 1990 klare westliche Zusicherungen gegenüber der Sowjetunion gab, die NATO nicht nach Osten auszudehnen. Besonders die Aussagen von US-Außenminister Baker und Bundesaußenminister Genscher legen nahe, dass diese Versprechen nicht nur Ostdeutschland, sondern ganz Osteuropa betrafen. Die Ausweitung der NATO wird damit als Bruch politischer Vertrauensgrundlagen interpretiert – mit langfristigen Folgen für das Verhältnis zu Russland. Der Text stellt diese Entwicklung in einen größeren historischen und theoretischen Kontext und beleuchtet, wie diplomatische Zusicherungen, Sicherheitsinteressen und Machtpolitik in der internationalen Ordnung nach dem Kalten Krieg miteinander rangen.
Einordnung
Der Beitrag legt eine faktenreiche Grundlage für die Neubewertung eines geopolitischen Schlüsselkonflikts. Die Rekonstruktion westlicher Zusicherungen von 1990 entzieht der gängigen Erzählung von „russischer Paranoia“ den Boden – und fordert eine ehrliche Bilanz westlicher Verantwortung für die sicherheitspolitische Eskalation seit dem Kalten Krieg. Für außenpolitische Debatten eröffnet der Text einen Perspektivwechsel: Nicht aus Relativierung, sondern aus dem Anspruch historischer Redlichkeit heraus. Wer über Friedenssicherung sprechen will, muss die Brüche verstehen, auf denen heutige Konflikte fußen.
NachDenkSeiten: „Zur Hölle mit dem Krieg“
von Christian Deppe
Zusammenfassung
Der Artikel rezensiert die nun erstmals qualifiziert auf Deutsch erschienene Schrift „War is a Racket“ (1935) des US-Generals Smedley Butler. Butler, einst hochdekorierter Offizier, wandte sich am Ende seiner Karriere radikal gegen den Krieg, den er als Geschäft und Betrug entlarvte – betrieben im Interesse des Kapitals, bezahlt mit dem Blut einfacher Soldaten. Die Rezension hebt zentrale Gedanken hervor: die ökonomischen Profiteure des Krieges, die psychischen und physischen Folgen für die kämpfende Jugend, die Manipulation durch Propaganda sowie Butlers Forderung nach einer radikalen Abrüstung und einer Volksabstimmung ausschließlich durch Kriegsdienstpflichtige. Besonders eindrücklich ist Butlers Aufruf zur Rückverlagerung des Militärs auf reine Verteidigungsfunktionen und zur Mäßigung durch Gemeinwohlorientierung. Er fordert: „Zur Hölle mit dem Krieg!“
Einordnung
Butlers Streitschrift entfaltet auch heute noch Wirkung – als zeitloses Plädoyer gegen den militärisch-industriellen Komplex und als radikale Forderung nach demokratischer Kontrolle über Kriegsentscheidungen. Die Rezension erschließt diesen historischen Text als Impuls für Gegenwart und politische Bildung: Wer die ökonomischen Strukturen des Krieges verstehen will, findet hier einen kompromisslosen, aufrüttelnden Einstieg. Für schulischen und gesellschaftlichen Diskurs eröffnet sich eine zentrale Frage: Kann es Frieden geben, solange Krieg sich rechnet?
Overton: „Rüstung gegen die ganze Welt: eine Vernebelungs-Theorie“
von Rob Kenius
Zusammenfassung
Rob Kenius analysiert die massive Aufrüstung westlicher Staaten als Symptom eines politisch-medialen Wahns – vergleichbar mit der Corona-Psychose. Die Erzählung von einer drohenden russischen Invasion diene vor allem als Vorwand für beispiellose Rüstungsprogramme. Die wahren Motive liegen laut Kenius tiefer: geopolitischer Größenwahn, koloniale Überreste im Denken europäischer Eliten und die Logik der Finanz- und Rüstungsindustrie. Besonders Großbritannien, Frankreich und Deutschland treiben diese Entwicklung voran – ohne Rückhalt in der Bevölkerung, aber mit ideologischer Selbstgewissheit. Die Narrative der Kriegstüchtigkeit überdecken strukturelle Zukunftsfragen wie Klimakrise, Demokratieverfall oder globale Gerechtigkeit.
Einordnung
Kenius’ polemischer Essay provoziert – aber mit analytischer Wucht. Er entlarvt die diskursive Selbsthypnose europäischer Eliten und fragt, warum „Verteidigung“ zur geopolitischen Obsession wurde. Seine Diagnose ist unbequem, doch relevant: Wer von Resilienz spricht, sollte auch über Größenwahn reflektieren. Der Text bietet eine Einladung zum Perspektivwechsel – weg von Aufrüstung als Normalzustand, hin zu einer politischen Prioritätensetzung im Zeichen des Überlebens.
NachDenkSeiten: „Feind wider Willen: Gibt es eine Alternative zum antirussischen Kurs der Bundesrepublik Deutschland?“
von Artem Sokolow
Zusammenfassung
Der Moskauer Politikwissenschaftler Artem Sokolow analysiert den schleichenden Erosionsprozess des deutschen Konsenses in der Russlandpolitik. Anhand des jüngsten SPD-Parteitags und eines vielbeachteten Manifests prominenter Sozialdemokraten zeigt er, dass der Wunsch nach Dialog und diplomatischen Lösungen auch im politischen Mainstream wächst. Die dominierende Konfrontationshaltung sei weniger Ausdruck breiter gesellschaftlicher Überzeugungen als Ergebnis machtpolitischer Kalküle: außenpolitische Abhängigkeiten, innenpolitische Instrumentalisierung der „russischen Bedrohung“ und ökonomische Interessen – etwa der Rüstungsindustrie – formten das Kursbuch der Regierung. Auch innerhalb der CDU regt sich leiser Widerspruch, besonders aus Ostdeutschland.
Einordnung
Sokolows Analyse bietet einen seltenen, aber differenzierten Blick von außen auf innenpolitische Verschiebungen in Deutschland. Er benennt ideologische Triebkräfte und strukturelle Blockaden gleichermaßen und macht deutlich, warum trotz wachsender Skepsis bislang kein Kurswechsel erfolgt. Wer die Möglichkeiten für eine neue Entspannungspolitik realistisch einschätzen will, findet hier eine fundierte Grundlage.
Makroskop: „Kriegstüchtig – aber unvernünftig?“
von Markus Knauff
Zusammenfassung
Markus Knauff plädiert für eine Rückbesinnung auf Vernunft in Zeiten kollektiver Kriegsrhetorik. Der Text beleuchtet, wie psychologische Verzerrungen – von Shifting Baselines bis Groupthink – unser Denken über Krieg und Aufrüstung prägen. In einer Atmosphäre, in der moralische Aufladung kritische Fragen verdrängt, plädiert Knauff für metakognitives Denken: bewusstes Reflektieren über eigene Urteile, Informationsquellen und Denkfehler. Statt mehr Waffen fordert er mehr kognitive Souveränität – auch angesichts wirtschaftlicher Profiteure, sozialer Ungleichheit im Kriegseinsatz und der schleichenden Militarisierung der Sprache.
Einordnung
Der Beitrag verbindet psychologische Analyse mit politischem Anspruch – und durchbricht damit die Rhetorik der Alternativlosigkeit. Gerade für ein kritisches Publikum liefert Knauff eine erkenntnisfördernde Perspektive auf die mentale Infrastruktur moderner Kriegsakzeptanz. Wer über Friedenspolitik nachdenkt, findet hier keine einfachen Antworten, aber viele wichtige Fragen.
NachDenkSeiten: „Analyse: Wenn das Völkerrecht zur Waffe wird“
von Alexander Neu
Zusammenfassung
Alexander Neu analysiert den systematischen Missbrauch des Völkerrechts durch Großmächte – insbesondere durch die USA und ihre Verbündeten –, die militärische Gewalt zunehmend unter dem Deckmantel der Rechtskonformität einsetzen. Statt einer globalen Rechtsordnung, die Schwächere schützt, wird das Völkerrecht laut Neu instrumentalisiert, um Machtinteressen durchzusetzen. Er erläutert die strukturellen Schwächen des UN-Systems, kritisiert das Vetorecht im Sicherheitsrat, beleuchtet die Rolle der Präzedenzfälle im Völkergewohnheitsrecht und warnt vor einem Rückfall in eine Weltordnung nach dem Recht des Stärkeren.
Einordnung
Neus Analyse ist ein eindringlicher Appell, die politischen und rechtlichen Grundsätze der internationalen Ordnung nicht länger selektiv zu nutzen. Die völkerrechtliche Perspektive wird hier nicht als akademisches Detail verhandelt, sondern als zentrale Frage globaler Machtverhältnisse. Für alle, die eine regelgeleitete, friedliche Weltordnung anstreben, liefert der Text eine pointierte Kritik an westlicher Doppelmoral – und eine Mahnung, dass ein gerechtes Völkerrecht nicht im Dienst geopolitischer Interessen stehen darf.
NachDenkSeiten: „Ex-CIA-Analytiker McGovern appelliert an die Bundesregierung: ‚Werdet endlich erwachsen‘“
von Éva Péli
Zusammenfassung
Im Interview mit Ray McGovern, ehemaliger CIA-Analytiker und Mitgründer der „Veteran Intelligence Professionals for Sanity“, äußert sich der US-Amerikaner kritisch zur westlichen Russlandpolitik, zur Rolle von Atomwaffen und zur Zukunft der NATO. Er warnt vor einer wachsenden Gleichgültigkeit gegenüber nuklearer Eskalation, beklagt das Ausbleiben diplomatischer Initiativen in Europa und fordert die Bundesregierung auf, ihre außenpolitische Eigenständigkeit zurückzugewinnen – nicht zuletzt im Hinblick auf Nord Stream. Für McGovern ist die „russische Bedrohung“ ein Konstrukt, das vor allem zur Rechtfertigung von Aufrüstung dient.
Einordnung
Das Interview eröffnet eine US-kritische, realpolitisch geprägte Perspektive auf die sicherheitspolitischen Verwerfungen der Gegenwart. McGovern hinterfragt nicht nur die gängige NATO-Narrative, sondern betont die Dringlichkeit diplomatischer Lösungen – auch und gerade im atomaren Zeitalter. Für Leserinnen und Leser, die sich mit alternativen Deutungen westlicher Außenpolitik auseinandersetzen möchten, liefert das Gespräch wichtige Denkanstöße.