Lesetipps der Woche (KW 32)

In dieser Rubrik erscheinen wöchentlich ausgewählte Artikel aus unabhängigen, meinungsstarken Medien – zusammengestellt von meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter. Als Abgeordneter bleibt im politischen Alltag oft zu wenig Zeit, um sich selbst täglich durch die Vielzahl an relevanten Beiträgen zu arbeiten. Deshalb erhalte ich regelmäßig ein fundiertes Pressebriefing, aus dem hier einige besonders lesenswerte Texte hervorgehoben werden. Die Auswahl setzt Impulse, regt zum Nachdenken an und eröffnet Perspektiven jenseits des etablierten Meinungskanons – zu Themen, die auch meine Arbeit im Landtag prägen: Frieden, Europa und die gesellschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland.

Hinweis: Die hier empfohlenen Beiträge spiegeln nicht in jedem Fall die Positionen von Nico Rudolph oder seinem Team wider. Sie wurden aufgrund ihrer inhaltlichen Relevanz und Impulsstärke ausgewählt.


Manova: „Unter unserer Würde“
von Dieter Höntsch

Zusammenfassung

Dieter Höntsch kritisiert die deutsche Politik der Aufrüstung und „Kriegstüchtigkeit“ als Verstoß gegen den zentralen Verfassungsgrundsatz der Menschenwürde. Er warnt vor der Eskalationslogik militärischer Stärke und verweist auf Artikel 26 GG, der die Vorbereitung von Angriffskriegen unter Strafe stellt. Der Text beleuchtet umfassend die im Grundgesetz und in internationalen Menschenrechtsabkommen verankerten Grundrechte, die in Kriegszeiten ausgehöhlt oder eingeschränkt würden. Höntsch betont, dass Frieden nur über Verhandlungen und gegenseitige Kooperation gesichert werden kann. Er unterscheidet zwischen einer allgemeinen, jedem Menschen zukommenden Würde und einer individuellen, subjektiven Würde, die sich im Laufe des Lebens entwickelt. Seine persönliche Definition umfasst u. a. Gewaltlosigkeit, Selbstbestimmung, Achtung der Meinungsvielfalt und Mitmenschlichkeit. Der Autor ruft dazu auf, diese Würde aktiv zu verteidigen und staatlichen Eingriffen entgegenzutreten.

Einordnung

Der Beitrag verbindet eine grundrechtliche Analyse mit einer pazifistischen Grundhaltung. Höntsch positioniert sich klar gegen die sicherheitspolitische Ausrichtung Deutschlands und mahnt, dass Menschenwürde nicht nur juristisch geschützt, sondern auch individuell gelebt werden muss. Die ausführliche Darstellung der Grundrechte schafft einen rechtlichen Bezugsrahmen, der die politische Kritik untermauert. Die Betonung der individuellen Würde als Maßstab für politisches Handeln setzt einen Gegenakzent zu einer Politik, die Sicherheit primär militärisch definiert. Der Text ist weniger parteipolitisch als grundsatzorientiert – und damit ein Plädoyer für einen verfassungsgebundenen Friedensansatz.


Manova: „Die Zeit der Monster“
von Das Gewerkschaftsforum

Zusammenfassung

Der Beitrag interpretiert Krieg, Militarisierung und autoritäre Formierung als systemische Reaktionsmuster einer tiefen Krise des Kapitalismus im Stadium des „faulenden Imperialismus“. Unter Rückgriff auf Wilhelm Reichs Analyse des autoritären Charakters wird die aktuelle gesellschaftliche Rechtsverschiebung als psychopolitischer Prozess beschrieben, der Angst, soziale Verunsicherung und autoritäre Disziplinierung strukturell verankert. Faschisierung erscheint nicht als Ausnahme, sondern als neue Normalität, die sich in Sprache, Medien, Gesetzgebung und Alltagskultur manifestiert. Der Text zeichnet Parallelen zwischen historischen deutschen Militarismus-Traditionen und gegenwärtigen politischen Entwicklungen, kritisiert die Exekutivdominanz in Deutschland und anderen Staaten sowie die zunehmende Kriminalisierung pazifistischer oder antimilitaristischer Positionen. Die AfD wird als sichtbare Zuspitzung, nicht als Ursprung dieser Dynamik verstanden; entscheidend sei die autoritäre Umgestaltung in der politischen Mitte. Abschließend fordert der Artikel eine organisierte, internationalistische und antikapitalistische Gegenbewegung, die sowohl objektive Krisenursachen als auch die affektiven Strukturen der Massen adressiert.

Einordnung

Der Text liefert eine materialistische und psychoanalytisch informierte Gesamtanalyse autoritärer Transformation in der Gegenwart, die über parteipolitische Betrachtungen hinausgeht. Er verbindet ökonomische Krisentheorie mit einer Kritik an gesellschaftlicher Militarisierung und der psychologischen Formierung autoritärer Subjekte. Die Stärke des Beitrags liegt in der historischen Verknüpfung deutscher Militarismus-Kontinuitäten mit globalen Machtverschiebungen sowie in der Betonung der inneren Dimension politischer Herrschaft. Damit liefert er einen Deutungsrahmen, der Militarismus, soziale Spaltung und Rechtsentwicklung als miteinander verschränkte Krisenstrategien begreift. Für die politische Debatte wirft der Text die zentrale Frage auf, wie emanzipatorische Kräfte in einem zunehmend militarisierten und autoritär geprägten Diskursraum handlungsfähig bleiben können.


NachDenkSeiten: „Die Ukraine und die Chronik eines angekündigten Krieges“
von Irmtraud Gutschke

Zusammenfassung

Der Artikel bespricht das Buch „Chronik eines angekündigten Krieges – Die Ukraine und das Versagen der Diplomatie“ von Marc Trachtenberg und Marcus Klöckner, das die geopolitischen Hintergründe und die schrittweise Eskalation des Ukraine-Konflikts beleuchtet. Trachtenberg analysiert die US-amerikanischen Interessen in der Umbruchsphase 1989/90, die NATO-Osterweiterung und das Verhältnis zu Gorbatschow, während Klöckner eine chronologische Medienschau zur deutschen Rolle im Krieg liefert. Der Text stellt die These infrage, es habe sich um ein „Versagen“ der Diplomatie gehandelt, und deutet vielmehr auf gezielte machtpolitische Strategien hin. Historische Bezüge – von der deutschen Ukraine-Politik im Ersten und Zweiten Weltkrieg bis zu den Minsker Abkommen – werden herangezogen, um Russlands Misstrauen gegenüber dem Westen zu erklären. Die Autoren zeichnen nach, wie Deutschland von Anfang an Partei ergriff, Kriegsrhetorik übernahm und durch mediale Rahmung Feindbilder verfestigte. Auch die gescheiterten Verhandlungen 2022 und die Blockade eines frühen Waffenstillstands werden thematisiert.

Einordnung

Der Beitrag bietet eine quellengesättigte Verbindung von Zeitgeschichte und aktueller Konfliktanalyse, die sowohl diplomatische Verläufe als auch propagandistische Mechanismen berücksichtigt. Die Kombination aus US- und deutscher Perspektive verdeutlicht, wie historische Zusagen, Machtinteressen und Medienlogiken ineinandergreifen. Die Darstellung hinterfragt gängige Narrative, indem sie auf langfristige Eskalationsmuster verweist und den Ukraine-Krieg als Ergebnis einer Kette politischer Entscheidungen interpretiert. Für die sicherheits- und außenpolitische Debatte liefert der Artikel wichtige Impulse, um die gegenwärtige Kriegslogik und ihre historischen Wurzeln zu verstehen.


Overton: „Erpressbar, entmachtet, entehrt – Wie Europa zum Spielball der USA wurde“
von Günther Burbach

Zusammenfassung

Der Artikel kritisiert die zunehmende politische, wirtschaftliche und militärische Abhängigkeit Europas von den USA, die sich im Handelsabkommen vom 27. Juli 2025 besonders deutlich zeige. Dieses verpflichtete die EU zu massiven US-Gasimporten und Investitionen, während zentrale europäische Exportgüter mit Strafzöllen belegt werden. Militärisch hält Washington weiterhin alle Schlüsselressourcen – von Nuklearwaffen über Cyber-Sicherheit bis zu Satelliten – in der Hand und nutzt dies als politisches Druckmittel. Der Text beschreibt die strategische US-Politik seit 2014, die darauf abzielte, Europa von Russland zu trennen, unter anderem durch Unterstützung der Ukraine, den Bruch wirtschaftlicher Verflechtungen und die Isolierung Moskaus. Die EU-Führung – insbesondere Ursula von der Leyen und Friedrich Merz – wird als transatlantisch loyal, aber handlungsunfähig dargestellt. Neben Energie- und Rüstungsabhängigkeit betont der Autor die digitale und finanzielle Unterordnung Europas unter US-Infrastruktur. Abschließend fordert er eine strategische Neuausrichtung: eigenständige Verteidigungsstrukturen, technologische und energetische Souveränität sowie diplomatische Öffnung zu Russland.

Einordnung

Der Beitrag verbindet aktuelle wirtschafts- und sicherheitspolitische Entwicklungen mit einer grundsätzlichen Kritik an der europäischen Abhängigkeit von den USA. Er argumentiert, dass diese Abhängigkeit von Washington gezielt genutzt werde, um politische Gefügigkeit zu erzwingen, und dass Europa bislang keine tragfähige Alternative entwickelt habe. Die Analyse rückt die US-Europa-Beziehung in den Kontext langfristiger geopolitischer Strategien und stellt die Frage nach europäischer Handlungsfähigkeit und strategischer Autonomie. Damit liefert der Artikel sowohl eine Bestandsaufnahme struktureller Abhängigkeiten als auch ein Plädoyer für eine eigenständige europäische Außen- und Sicherheitspolitik.


Manova: „Unsichere Sicherheitsorgane“
von Felix Feistel

Zusammenfassung

Der Artikel warnt vor einer möglichen Ausweitung der Strafverfolgung gegen Kritiker von Bundeswehr und Kriegspolitik auf Grundlage des bislang kaum genutzten § 89 StGB („Verfassungsfeindliche Einwirkung auf Bundeswehr und öffentliche Sicherheitsorgane“). Dieser Paragraf stellt bereits den Versuch unter Strafe, Angehörige der Bundeswehr oder anderer Sicherheitsorgane in ihrer „pflichtgemäßen Schutzbereitschaft“ zu beeinträchtigen – auch durch allgemein zugängliche Veröffentlichungen. Da es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, muss weder eine konkrete Wirkung noch eine tatsächliche Kenntnisnahme vorliegen. Mit der möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht könnten selbst pazifistisch begründete Aufrufe zur Dienstverweigerung unter diesen Tatbestand fallen. Der Autor verweist auf die Erfahrungen mit § 188 StGB („Majestätsbeleidigung“) seit 2021, der in der Corona-Zeit gegen Regierungskritiker eingesetzt wurde, und sieht in § 89 StGB ein noch schärferes Instrument. Im Kriegsfall könne jede kritische Äußerung als Angriff auf die Sicherheitsbereitschaft gewertet werden, was zu Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren führen kann.

Einordnung

Der Text verknüpft juristische Analyse mit einer politischen Warnung vor der Einschränkung von Meinungsfreiheit in Kriegs- und Mobilmachungsszenarien. Er hebt die weite Auslegbarkeit des § 89 StGB hervor und betont, dass unklare Formulierungen eine willkürliche Anwendung ermöglichen. Durch die Einordnung in einen größeren Trend zunehmender Repression gegen oppositionelle Stimmen zeichnet der Artikel das Bild einer Justiz, die sich im Zuge einer militarisierten Politik stärker als Exekutivwerkzeug versteht. Damit liefert er einen Beitrag zur Debatte über den Spannungsbogen zwischen staatlicher Sicherheitspolitik und den Grundrechten auf freie Meinungsäußerung.


NachDenkSeiten: „Die Software ‚Palantir‘: Der ‚sehende Stein‘ des Überwachungszeitalters“
von Detlef Koch

Zusammenfassung

Der Artikel beschreibt die Funktionsweise, politische Einbettung und Risiken der Analyseplattform Palantir Gotham, die ursprünglich für Geheimdienste entwickelt wurde und inzwischen in mehreren deutschen Bundesländern im Polizeieinsatz ist. Unter Bezug auf die Namensvorlage aus Tolkiens „Herr der Ringe“ skizziert der Autor den Anspruch der Software: umfassende, vernetzte Datenauswertung aus verschiedenen Quellen, ergänzt um KI-gestützte Mustererkennung. Gründer Peter Thiel wird als ideologisch autoritär und marktlibertär charakterisiert, was nach Ansicht des Autors das Selbstverständnis des Unternehmens prägt. In Deutschland nutzen Hessen, NRW, Bayern und Baden-Württemberg Palantir, teils nach umstrittenen Gesetzesänderungen; andere Länder zögern nach dem BVerfG-Urteil von 2023, das den Einsatz ohne klare Eingriffsschwellen für verfassungswidrig erklärte. Kritisiert werden tiefgreifende Grundrechtseingriffe, intransparente Algorithmen, mögliche Diskriminierungseffekte und die Abhängigkeit von einem US-Anbieter. Der Text warnt vor einer schleichenden Etablierung einer automatisierten Sicherheitsarchitektur, in der Abweichung zum Verdachtsmoment wird, und fordert strikte gesetzliche Begrenzungen sowie unabhängige Kontrolle.

Einordnung

Der Beitrag verbindet eine technische Darstellung von Palantir mit einer politischen und rechtlichen Bewertung, die den Einsatz in den Kontext von Überwachungs- und Souveränitätsdebatten stellt. Er macht deutlich, dass die Leistungsfähigkeit des Systems mit erheblichen Risiken für Datenschutz, informationelle Selbstbestimmung und demokratische Kontrolle einhergeht. Durch die Hervorhebung ideologischer Hintergründe und internationaler Abhängigkeiten positioniert sich der Text klar gegen eine unregulierte Nutzung solcher Werkzeuge im Sicherheitsbereich. Für die politische Diskussion liefert er sowohl Argumente für eine grundrechtssensible Regulierung als auch für eine breitere Debatte über digitale Souveränität und staatliche Kontrolle über sicherheitsrelevante Technologien.


NachDenkSeiten: „Die dunkle Wolke – oder: Hiroshima ist überall!“
von Leo Ensel

Zusammenfassung

Der Autor erinnert zum 80. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima an die historische Zäsur des 6. August 1945, die das Zeitalter der möglichen Selbstvernichtung der Menschheit einleitete. Er schildert die unmittelbaren Folgen der Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, die zahllosen Toten und langfristigen Strahlenschäden sowie den zynischen Umgang der US-Militärs mit den Opfern als „Testmaterial“. Unter Rückgriff auf die Philosophie Günther Anders wird die atomare Bedrohung als permanenter Weltzustand beschrieben, in dem die Menschheit „auf Frist“ lebt und ihre moralische Grundfrage auf das Überleben selbst reduziert ist. Historische Phasen atomarer Abrüstung – etwa Gorbatschows Politik des „Neuen Denkens“ – werden kontrastiert mit der gegenwärtigen Aufkündigung nahezu aller Abrüstungsverträge und einer neuen nuklearen Aufrüstungsspirale. Angesichts von über 12.000 weltweit gelagerten Atomsprengköpfen und wachsender Kriegsgefahr mahnt der Text zu einem nie endenden Kampf gegen Atomwaffen, der nicht nur ihre Vernichtung, sondern auch eine moralische Ächtung ihres Einsatzes als absolutes Tabu umfasst.

Einordnung

Der Beitrag verknüpft historische Rückschau, philosophische Reflexion und aktuelle sicherheitspolitische Analyse zu einem eindringlichen Plädoyer für nukleare Abrüstung und gesellschaftliche Wachsamkeit. Er verdeutlicht, dass die atomare Bedrohung trotz zwischenzeitlicher Abrüstungsschritte fortbesteht, da das Wissen um die Herstellung der Waffen nicht verloren gehen kann. Die Argumentation basiert auf der Einsicht, dass technisches Können nicht rückgängig gemacht werden kann und daher durch eine tief verankerte moralische Selbstbeschränkung ergänzt werden muss. Damit liefert der Text sowohl eine Mahnung an politische Entscheidungsträger als auch einen Appell an die Zivilgesellschaft, den Kampf gegen Atomwaffen als dauerhafte Aufgabe zu begreifen.


NachDenkSeiten: „Ja, wir sind im Krieg!“
von Rumen Milkow

Zusammenfassung

Im Interview erläutert der Psychiater und Psychoanalytiker Hans Joachim Maaz, warum er Deutschland aufgrund von Waffenlieferungen, Kriegspropaganda und „Kriegsertüchtigung“ mental bereits im Kriegszustand sieht. Er beschreibt Gewaltzunahme als Ausdruck ungelöster innerer Konflikte („Gefühlsstau“) und warnt, dass politische Kommunikation Feindbilder instrumentalisiert und so aggressive Entlastungen kanalisiert. Maaz kritisiert eine gesellschaftliche Überreizung (u. a. durch digitale Dauerreize), hält den Diskurs um „Hochsensibilität“ oft für eine oberflächliche Mode und plädiert für Selbstreflexion, um falsche Anpassungen an äußere Erwartungen zu überwinden. In ethischen Zuspitzungen betont er den Unterschied zwischen persönlicher Notwehr und politisch motiviertem Krieg und rät jungen Menschen zu innerer Orientierung, statt Verantwortung an Technik wie KI abzugeben.

Einordnung

Das Gespräch liefert eine psychodynamische Deutung aktueller Kriegsbereitschaft und Polarisierung: gesellschaftliche Anspannung, mediale Feindbildproduktion und individuelle Kränkungen verstärken sich wechselseitig. Relevanz gewinnt das Interview dort, wo es militärpolitische Maßnahmen mit psychosozialen Mechanismen verknüpft und damit jenseits tagespolitischer Debatten einen Erklärungsrahmen anbietet. Für die politische Auseinandersetzung ist der Beitrag als Impuls zu verstehen, Präventions- und Friedenspolitik auch als Arbeit an kollektiver Emotionalität und öffentlicher Kommunikation zu begreifen.

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