In dieser Rubrik erscheinen wöchentlich ausgewählte Artikel aus unabhängigen, meinungsstarken Medien – zusammengestellt von meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter. Als Abgeordneter bleibt im politischen Alltag oft zu wenig Zeit, um sich selbst täglich durch die Vielzahl an relevanten Beiträgen zu arbeiten. Deshalb erhalte ich regelmäßig ein fundiertes Pressebriefing, aus dem hier einige besonders lesenswerte Texte hervorgehoben werden. Die Auswahl setzt Impulse, regt zum Nachdenken an und eröffnet Perspektiven jenseits des etablierten Meinungskanons – zu Themen, die auch meine Arbeit im Landtag prägen: Frieden, Europa und die gesellschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland.
Hinweis: Die hier empfohlenen Beiträge spiegeln nicht in jedem Fall die Positionen von Nico Rudolph oder seinem Team wider. Sie wurden aufgrund ihrer inhaltlichen Relevanz und Impulsstärke ausgewählt.
NachDenkSeiten: „Wir erleben in Deutschland eine Militarisierung, die in mancher Beziehung an das Kaiserreich erinnert“
von Marcus Klöckner
Zusammenfassung
Im Gespräch mit Marcus Klöckner beschreibt Fabian Scheidler eine Politik, die in zentralen Krisen der vergangenen Jahrzehnte zunehmend auf Eskalation setzt – ob Terrorismus, Pandemie, Nahost oder Ukrainekrieg. Er sieht einen Trend zur Ausweitung exekutiver Macht, zur Konstruktion von Feindbildern und zur Abkehr früherer Entspannungskonzepte. Der permanente „Kriegszustand“ diene aus seiner Sicht auch als innenpolitisches Steuerungsinstrument: Er überdecke soziale Missstände, rechtfertige Grundrechtseingriffe und stütze die politische Legitimation in Zeiten schwindenden Vertrauens. Scheidler verweist auf historische Alternativen gemeinsamer Sicherheit, die heute durch eine Rhetorik der „Kriegstüchtigkeit“ ersetzt würden.
Zugleich zeichnet er nach, wie politische Reaktionen in mehreren globalen Konflikten die jeweilige Lage verschärft hätten: militärische Interventionen im Nahen Osten, harte Corona-Maßnahmen, Verhandlungsabbrüche im Ukrainekrieg. Im Inneren diagnostiziert Scheidler eine zunehmende Verengung des Debattenraums, verschärfte Überwachung und die Gefahr eines politischen Umgangs, der demokratische Prozesse aushöhlt.
Einordnung
Das Interview bietet eine breit angelegte Kritik an der sicherheitspolitischen Neuausrichtung des Westens und ordnet die deutsche Debatte über „Kriegstüchtigkeit“ in größere geopolitische und gesellschaftliche Umbrüche ein. Besonders relevant ist die Verbindung von außenpolitischer Eskalation mit inneren Spannungen: Vertrauensverlust, soziale Erosion und eine politische Sprache, die Konflikte eher zuspitzt als entschärft. Der Beitrag lädt dazu ein, historische Erfahrungen der Entspannungspolitik neu zu betrachten und zu prüfen, welche sicherheitspolitischen Leitlinien in einer multipolaren Welt tatsächlich stabilisierend wirken könnten. Für eine friedenspolitische Perspektive liefert das Interview wichtige Impulse – gerade dort, wo es die langfristigen Folgen militärischer Logik im Inneren sichtbar macht.
NachDenkSeiten: „‚Bollwerk Bärlin III‘: Bundeswehr-Scharfschützen im öffentlichen Raum – das Militärische rückt weiter vor“
von Marcus Klöckner
Zusammenfassung
Marcus Klöckner kommentiert eine Bundeswehr-Übung in Berlin, bei der Scharfschützen, Häuserkampf und Objektschutz im urbanen Raum trainiert werden. Die Übung „Bollwerk Bärlin III“ findet bewusst im öffentlichen Raum statt – einschließlich eines Berliner U-Bahnhofs – und wird offiziell mit der „angespannten sicherheitspolitischen Lage in Europa“ begründet. Klöckner beschreibt, wie die Bundeswehr damit ein Szenario normalisiert, das faktisch einen größeren Krieg in Europa voraussetzen würde. Während polizeiliche und militärische Einsatztrainings grundsätzlich nachvollziehbar seien, sieht der Autor in der Art der öffentlichen Darstellung eine gefährliche Verschiebung: Die Übung bestätige und verstärke jene Feindbildlogik, die politisch und medial seit Jahren transportiert werde. Der Kommentar kritisiert zudem die Bereitschaft der Bundeswehr, politische Narrative unreflektiert zu übernehmen, statt sicherheitspolitische Zusammenhänge kritisch zu prüfen.
Einordnung
Der Beitrag ordnet die Berliner Übung in den breiteren Kontext der aktuellen sicherheitspolitischen Rhetorik ein. Klöckner thematisiert nicht nur die militärische Präsenz im öffentlichen Raum, sondern auch die gesellschaftliche Wirkung solcher Inszenierungen: Sie vermitteln Normalität von Kriegsbereitschaft und verfestigen Bedrohungsvorstellungen, die politische Entscheidungen rechtfertigen sollen. Für die friedenspolitische Debatte ist der Text relevant, weil er einen Trend beschreibt, der weit über Berlin hinausreicht – die schrittweise Ausweitung militärischer Sichtbarkeit und Symbolik im Alltag. Der Kommentar verweist damit auf zentrale Fragen der demokratischen Kultur: Wie wirkt sich eine politisch erzeugte Kriegslogik auf Wahrnehmung, Debattenraum und gesellschaftliche Prioritäten aus? Und wie verändert sich das Verhältnis von Staat, Militär und Öffentlichkeit, wenn Übungen dieser Art zum neuen Normalfall erklärt werden?
NachDenkSeiten: „Geistige Mobilmachung gegen Russland“
von Sevim Dagdelen
Zusammenfassung
Sevim Dagdelen kritisiert eine zunehmende Einschränkung diplomatischer Kontakte mit russischen Akteuren durch EU-Sanktionslisten, die inzwischen über 1.700 Personen umfassen. Diese Maßnahmen führten faktisch zu einem Kontaktverbot für deutsche Politiker und trügen zu einer politischen Atmosphäre bei, in der Dialog durch Verdächtigungen ersetzt werde. Dagdelen beschreibt zudem öffentliche Kampagnen gegen Abgeordnete – darunter BSW-Parlamentarier –, die weiterhin Gesprächskanäle nach Russland offenhalten. Sie verweist auf ein Rechtsgutachten, das die neuen EU-Sanktionsinstrumente gegen Medien und Meinung als rechtswidrige Einschränkung der Meinungsfreiheit einstuft. Insgesamt sieht sie eine „geistige Mobilmachung“, die gesellschaftliche Hemmschwellen gegenüber militärischer Eskalation senke.
Einordnung
Der Beitrag ist auch parteiintern relevant, weil Dagdelen eine Entwicklung beschreibt, die wesentliche Bereiche friedenspolitischer Arbeit unmittelbar betrifft: die Kriminalisierung von Kontakten, die Delegitimierung abweichender Positionen und die Einschränkung diplomatischer Gesprächsformate. Damit verweist sie auf eine zentrale Konfliktlinie der aktuellen Außenpolitik: Die sicherheitspolitische Rahmenerzählung der „Zeitenwende“ wird zunehmend mit Maßnahmen verknüpft, die Diskursräume verengen und kritische Stimmen marginalisieren. Für eine friedenspolitische Perspektive ist dies bedeutsam, weil Dialogfähigkeit – nicht zuletzt mit unliebsamen Gesprächspartnern – eine zentrale Ressource europäischer Sicherheit bleibt. Dagdelens Analyse verdeutlicht zudem, wie politisch-mediale Dynamiken Druck auf jene Akteure erzeugen, die auf Entspannung oder Gesprächskanäle setzen, und damit einen Klimaeffekt schaffen, der die Optionsvielfalt in der Außenpolitik reduziert.
Manova: „Weltfrieden im Schützengraben“
von Michael Hollister
Zusammenfassung
Michael Hollister nutzt das Gedankenexperiment, politische Führungen müssten im Ernstfall selbst im Schützengraben stehen, um eine grundlegende Schieflage moderner Demokratien zu verdeutlichen: Entscheidungen über Krieg und Eskalation sind von persönlicher Verantwortung entkoppelt. Der Essay kritisiert, dass politische Systeme Fehlentwicklungen kaum korrigieren und ohne regelmäßige Selbstüberprüfung anfällig für Eskalationslogiken werden. Hollister plädiert daher für einen „demokratischen System-TÜV“, der institutionelle Selbstkontrolle und stärkere Bürgerbeteiligung gewährleistet.
Einordnung
Der Text setzt einen ungewöhnlichen, aber relevanten Akzent in der Debatte über Europas sicherheitspolitische Neuausrichtung: Nicht die militärische Ebene steht im Mittelpunkt, sondern die Frage, wie politische Systeme Entscheidungen mit hohem Eskalationspotenzial treffen – und wer diese Entscheidungen kontrolliert. Hollister erinnert daran, dass Aufrüstung und „Kriegstüchtigkeit“ nicht nur materielle Prozesse sind, sondern auf Strukturen treffen, die Verantwortung diffus verteilen und Risiken entpolitisieren. Für eine friedenspolitische Perspektive ist der Essay deshalb interessant, weil er institutionelle Voraussetzungen für Deeskalation in den Blick rückt: stabile Checks and Balances, unabhängige Kontrollinstanzen und regelmäßige Rückbindung politischer Entscheidungen an den gesellschaftlichen Souverän. Der Beitrag öffnet damit einen Diskussionsraum jenseits tagespolitischer Auseinandersetzungen und verweist auf die Notwendigkeit, demokratische Resilienz als sicherheitspolitischen Faktor mitzudenken.
Manova: „Den Wahnsinn in Betracht ziehen“
von Ramón Dersch
Zusammenfassung
Ramón Dersch analysiert ein Policy Brief der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, in dem Karl-Heinz Kamp eine „neue Nuklearstrategie der NATO“ skizziert. Im Zentrum steht die Offenheit, nukleare Einsätze – einschließlich eines Erstschlags gegen Ziele auf russischem Territorium – als ernsthafte Handlungsoption zu diskutieren. Der Text zeichnet die personellen und finanziellen Verflechtungen der DGAP mit Regierung, NATO-Strukturen und Rüstungsindustrie nach und stellt diese Überlegungen in die Tradition der nuklearen Vorwärtsverteidigung des Kalten Krieges. Dersch erinnert zugleich an historische Planungen, in denen Europa selbst als potenzielles nukleares Schlachtfeld einkalkuliert wurde.
Einordnung
Der Beitrag legt offen, wie in einflussreichen sicherheitspolitischen Zirkeln nukleare Eskalationsszenarien wieder enttabuisiert werden – und das in einer Konstellation, in der deutsche und europäische Akteure strukturell eng an US-Strategien gebunden sind. Politisch brisant ist dabei weniger die Person Kamp als die Normalisierung eines Diskurses, in dem Erstschlagüberlegungen und Zielplanungen gegen Großstädte erneut denkbar werden. Für eine friedenspolitische Perspektive ist der Text relevant, weil er zeigt, dass „Zeitenwende“ nicht nur konventionelle Aufrüstung meint, sondern auch eine Verschiebung der Leitplanken im Nuklearbereich. Zugleich verweist er auf ein grundlegendes Demokratiedefizit: zentrale Entscheidungen über existenzielle Risiken werden in halböffentlichen Expertengremien vorbereitet, während Öffentlichkeit und Parlamente nur begrenzt Einblick in die tatsächlichen Eskalationsoptionen erhalten.
Globalbridge: „Darum braucht die EU unbedingt den Feind Russland“
von Thomas Röper
Zusammenfassung
Thomas Röper greift die Aussage des polnischen Ministerpräsidenten Tusk auf, die EU benötige einen „gemeinsamen, klar definierten Feind“, um politisch zusammenzuhalten. Röper interpretiert dies als Eingeständnis, dass die anhaltende Konfrontation mit Russland ein bewusst gepflegtes Integrationsinstrument der EU sei. Anhand verschiedener Beispiele – von Rüstungskoordinierung über Steuerpläne bis zur Abschaffung des Vetorechts – argumentiert er, dass Brüssel sicherheitspolitische Krisen nutze, um Kompetenzen auf EU-Ebene zu zentralisieren und die Mitgliedstaaten zu entmachten. Ergänzt wird dies durch einen längeren Einschub des Analysten Andrew Korybko, der den Ukraine-Krieg als Rahmen sieht, in dem die EU über gemeinsame Schulden, Industriepolitik und Rüstungsaufbau schrittweise in Richtung eines föderalen Systems gelenkt werde.
Einordnung
Der Beitrag liefert einen zugespitzten, systemkritischen Blick auf aktuelle Integrationsprozesse innerhalb der EU – besonders relevant vor dem Hintergrund der europäischen Aufrüstungsagenda. Sein analytischer Kern liegt weniger in der Frage, ob Brüssel tatsächlich einen „Feind“ brauche, sondern in der Beobachtung, dass sicherheitspolitische Ausnahmesituationen strukturelle Verschiebungen erleichtern: Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen, Stärkung der Exekutive und eine wachsende sicherheitspolitische Rolle der EU-Kommission. Für eine friedenspolitische Perspektive ist der Text vor allem deshalb interessant, weil er Mechanismen beschreibt, die demokratische Kontrolle schwächen können – insbesondere wenn sicherheitspolitische Begründungen als Dauerlogik dienen. Der Artikel rückt damit einen Aspekt ins Licht, der in vielen öffentlichen Debatten kaum vorkommt: die institutionellen Folgen der militärischen „Zeitenwende“ für Parlamentarismus, nationale Souveränität und soziale Prioritätensetzung.
NachDenkSeiten: „Stationierung der US-Mittelstreckenraketen in Deutschland in 2026 – ein weiterer Schritt der Eskalation“
von Alexander Neu
Zusammenfassung
Alexander Neu kritisiert die Entscheidung der USA und der Bundesregierung, ab 2026 neue US-Mittelstreckensysteme in Deutschland zu stationieren, ohne parlamentarische Debatte oder öffentliche Einbindung. Er ordnet die Entscheidung historisch in den Kontext des NATO-Doppelbeschlusses und des späteren INF-Vertrags ein und argumentiert, dass die neuen Systeme – von Tomahawk bis Dark Eagle – strategische Fähigkeiten besitzen, die Deutschland erneut zu einem potenziellen Ziel machen. Neu betont, dass im Unterschied zu den 1980er-Jahren weder ein Verhandlungsangebot an Moskau noch gesellschaftlicher Widerstand erkennbar seien.
Einordnung
Der Beitrag unterstreicht die sicherheitspolitische Tragweite der geplanten Stationierung und deren Bedeutung für Europa: eine erneute Verschiebung des strategischen Gleichgewichts, erhöhte Eskalationsrisiken und ein Abbau politischer Kontrolle über entscheidende Entscheidungen der NATO-Partner. Für eine friedenspolitische Perspektive ist der Text besonders relevant, weil er auf die wachsende Entkopplung zwischen Regierungsentscheidungen und öffentlicher Debatte hinweist – ein Muster, das sich durch die gesamte Aufrüstungsagenda der „Zeitenwende“ zieht. Neu verweist zudem auf die fehlende diplomatische Flankierung der Maßnahmen und auf einen historischen Erfahrungsverlust in der Bevölkerung, der Protestbereitschaft schwächt. Damit berührt der Artikel zentrale Aspekte, die auch im sächsischen Kontext relevant sind: demokratische Transparenz, Risiken externer Stationierungen und die Frage, wie friedenspolitische Alternativen politisch sichtbar bleiben.

